Ein Freund |
Ein Schild mit der Aufschrift Estrella-Damm hängt über Tür. Rostig von der Seeluft. Ich trete ein. Die Kneipe wird auch von Deutschen besucht wird. Ihr Inventar unterscheidet sich in Nichts von einer üblichen Tapas-Bar. Dunkler Holztresen vor Regal mit Alkoholika, dazwischen der Wirt. Die spanische Biermarke gelangt vom Faß direkt in mein Glas. Ich trinke hastig. Zu wenig Schaum. Aber kühl. Nahe der Tür sitzt ein alter Spanier und spielt irgendein Kartenspiel mit einer Deutschen und ihrem zehnjährigen Sohn. Sie versteht den Alten nicht gut. Er spricht mit starkem andalusischen Akzent, außerdem fehlen ihm etliche Zähne. Der Alte nennt den kleinen Jungen Man, zum Entsetzen der Mutter und zur Freude Hermanns. Zu meiner Rechten stehen drei Tschechen oder Polen. Sie sind an einer deutschen Versicherungskauffrau interessiert, die ihre Tatoos zur Schau trägt. Der eine Tscheche verliert keine Zeit und brüstet sich mit seinem Job. Steueroase Gibraltar, da könne man noch richtig Geld machen. Womit wird nicht so genau gesagt. Ich trinke mein zweites Bier. Hans ist schon vor 10 Jahren hierher gekommen. Damals gab es noch nicht viele Deutsche hier, sagt er. Erst hat er eine Surf-Schule betrieben, nun die Kneipe. Hans ist ein guter Wirt. Weil ich neu bin, kümmert er sich um mich. Er will wissen, wie lange ich bleibe. Ich sage, wahrscheinlich ein halbes Jahr. Er fragt mich, was ich hier machen werde. Ich erzähle, daß ich für eine Bau-Firma arbeite und daher viel herumkomme. Ein paar Wochen Urlaub habe ich auch. Ich schildere meine Pläne, einen Abstecher nach Marokko zu machen. Wenn die innere Welt vereinsamt, treten äußere Eindrücke an ihre Stelle. Hans' innere Welt steht unter dem Einfluß seiner Gäste. Ich schneide ein wenig auf. Wenn man unabhängig ist, muß man die Möglichkeiten nutzen. Zu Hause vermißt einen ja niemand. Er freut sich für mich und schenkt mir ein drittes Bier ein. Oder war es Bedauern? Drei Surfer kommen zur Tür herein. Zwei großgewachsene Männer und eine junge Frau. Sie sprechen Englisch untereinander. Die beiden Männer wohl mit holländischem Akzent. Sie langweilen sich. Der eine spricht mich an und ich erzähle ihm, was ich vorher Hans erzählt habe. Er und sein Freund kommen aus Brüssel. Sie sind hier zum Surfen. Surfen ist ihr Leben, beichtet der andere. Schön, wenn es auch einfacher geht. Die junge Frau spricht mich auf Deutsch an, sie kommt aus München. Sie ist attraktiv und ich habe Schwierigkeiten, ihr in die Augen zu schauen. Sie wird recht munter und fragt mich aus. Ich erfahre, daß sie nicht surft, sondern ihrem Freund hinterreist. Das ist der eine von den beiden. Sie hat Kunst studiert und wir stellen fest, daß es in dieser Gegend nicht sonderlich viele kulturelle Attraktionen gibt. Maria ist ihr Name, er gefällt mir. Sie gefällt mir. Ich bringe sie zum Lachen, woraufhin sich ihr Freund wieder ins Gespräch einschaltet. Sie fragen mich, ob ich sie zu einer anderen Bar begleiten möchte. Wir verlassen Hans' Kneipe. Der Levante weht kräftig durch die schmalen Gassen. Haus an Haus im typisch andalusischen Stil, an jeder Ecke eine Bar. Ein ständiges Kommen und Gehen, Leute jeden Alters. Spanier, Deutsche, Engländer und der Rest der Welt. Das Kopfsteinpflaster ist noch glitschig vom Regen am Nachmittag. Wir kommen am Cafe Central vorbei, das wie üblich voller Touristen ist. Der örtliche Dealer bietet mir Hasch an, ich lehne dankend ab. Ich schaue auf die Uhr. Es ist schon halb Zwölf. Das Nachtleben hier beginnt recht spät. Wir biegen in die Calle San Francisco ein. Maria will von mir wissen, wo ich in Deutschland lebe. Sie wundert sich, daß ich keinen Berliner Akzent habe. Ich bemühe mich um einige mundartliche Sätze und bringe Sie zum Lachen. Ich überlege, ob ihr Haar wirklich blond ist. Ihr Gesicht ist makellos schön. Ihre Aufgeschlossenheit irritiert mich. Ich will nicht. Ich flirte mit ihr. Ihr Freund stößt die Tür zur Moskito-Bar auf. Der Rigaton dröhnt mir ins Ohr. Zu den Beats bewegen sich junge Körper im Halbdunkel. Wir versorgen uns mit Cruzcampo. Die Tanzfläche füllt sich schnell. Ich gleite hinein. Ich schwitze. Ich schließe die Augen. Ich öffne sie und ihr Blick ruht auf mir. Ich schaue weg. Ihr Freund schaut mich ebenfalls an. Stiert. Er kippt Bier nach und ist nicht in der Lage zu tanzen. Ich greife nach meiner Flasche und stelle mich wieder zu Maria. Sie spricht schnell. Ich verstehe nicht jedes Wort. Ihre Lippen. Ich lese. Von ihren Lippen. Lippen. Ich starre auf die wabernde Menge vor mir. Maria spricht. Ich beuge mich hinunter zu ihr. In mein Ohr. Sie hält mich dabei am Arm fest. Ich bleibe. Wir bewegen uns in die Mitte. Tanzen. Ich berühre Sie. Sie riecht süßlich, begehrlich. Instinkt. Maria reißt die Augen weit auf und stößt einen stummen Schrei aus. Ich spüre eine dumpfen Schlag. Am Boden. Meine Hand blutet. Ich habe in die Scherben der Flasche gefaßt. Ihr Freund liegt ebenfalls am Boden. Er ist zu betrunken. Um uns herum tanzt niemand mehr. Ich fasse mir an den Kopf. Kein Blut, nur Bier. Ich versuche aufzustehen. Maria hilft mir. Die Musik läuft weiter. Ich gehe auf die Toilette. Eine deutliche Beule über der rechten Schläfe. Ich wasche mir das Bier ab. Danach kühle ich die Hand unter kaltem Wasser und wickele ein Taschentuch um den Daumen. Ich betrachte mich im Spiegel. Entzaubert. So stehe ich einige Minuten. Dann gehe ich wieder hinaus, die Tanzfläche hat sich erneut gefüllt. Ich halte nach Maria Ausschau. Sie steht bei den beiden Belgiern. Ihr Freund weint. Sie redet auf ihn ein. Ich halte Abstand. Sie bringt die beiden zur Tür und kommt zurück. Sie sucht nach mir. Kommt auf mich zu. Sie nennt ihn einen Idioten. Ich schweige. Wir setzen uns an die Bar. Sie streichelt meine Hand. Ich sage ihr, daß ich es erwartet hatte. Wenn auch nicht so. Sie schaut mich ernst an. Ich setze ein Lächeln auf. Sie gibt mir einen Kuß auf die Wange. Ich frage sie, was das zu bedeuten hat. Und sie erklärt mir, daß sie sich eigentlich schon von ihrem Freund getrennt hat, sie aber noch zusammen leben. Ein Freund, kein Freund. Nur noch ein Freund. Sie fragt nach meiner Telefonnummer. Ich buchstabiere. Sie möchte sich um ihren Ex-Freund kümmern und verspricht, mich anzurufen. Ich bin allein. Unter 50 Menschen. Ich nehme ein Bier und gehe hinaus. Es ist kühl geworden. Über mir der Himmel, kein Wolke. Es ist fast Vollmond. Ich gehe langsam nach Hause. Mein Kopf schmerzt. Irgendwo muß ich mein Taschentuch verloren haben, aber der Finger hat aufgehört zu bluten. Eine neue Wunde tritt an seine Stelle. |
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